Dirk Klose: Böse Pracht. Werkauswahl 2010 bis 2020. Mit Beiträgen von Reinhard Spieler, Thorsten Marr und einem Manifest zur Kunst im Anthropozän mit einer kritischen Revision der Kunst des 20. Jahrhunderts (von Wassily Kandinsky bis Ai Weiwei) von Dirk Klose. Geb. 172 S. Mit über 100 Farbabb., München, 2021, ISBN 978-3-00-066933-0
RESPECT FOR NATURE: EIN MANIFEST
(Ideal-)vorstellungen und Überlegungen zu den Anforderungen einer Kunst im Anthropozän mit einer kritischen Revision der Kunst des 20. Jahrhunderts
Einleitung: Ein neues Jahrtausend – ein neues Zeitalter
Wir stehen heute nicht nur am Beginn eines neuen Jahrtausends, sondern auch an der Schwelle eines neuen Zeitalters, des Anthropozäns, in welchem die Natur und die Artenvielfalt in nie gekanntem Ausmaß, verursacht durch den Menschen, vor dem Abgrund stehen. Das zurückliegende 20. Jahrhundert war in der ersten Hälfte durch die beiden Weltkriege ein von Zerstörungen und Erschütterungen, wie die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, geprägtes, „kaputtes“ Säkulum. Dies hinterließ auch „zerstörerische“ Spuren in der Kunst. Viele Traditionen wurden einfach über Bord geworfen. Deutlich wird dieser stetige Verfall beispielsweise in der Malkultur, beim Vergleich von Werken Édouard Manets (aus den 1860er bis 1880er-Jahren), über Paul Cézanne (bis Anfang des 20. Jahrhunderts), dem deutschen Expressionismus (Anfang des 20. Jahrhunderts) bis hin zu den Dripping-Paintings von Jackson Pollock (der 1940er- und 1950er-Jahre). Die Kunst war im 20. Jahrhundert vom Fortschrittswahn und sensationserheischender Innovations- und Skandalgier erfasst. Es jagten sich Manifeste, in denen behauptet wurde, die Kunst brauche keinen künstlerischen Duktus mehr, und jeder gestalterische Treppenwitz, wie etwa das Verfahren der Dripping-Technik Pollocks (Farbe aus schwingenden, durchlöcherten Dosen auf die Leinwand zu tröpfeln) oder das Kopf-Überdrehen von Bildern (Georg Baselitz), wurde als grandiose Neuerung bejubelt, um nur einige „Unsinnigkeiten“ zu nennen.
Die hybride Selbstinszenierung der Künstler nahm bisweilen scharlataneske Formen an, etwa im Fall von Joseph Beuys, dessen Werkrelikte heute wie Reliquien verehrt werden. Diese Verquertheiten waren auch der Gier der Medien, der Kunstkritik und dem Kunstmarkt geschuldet. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kunst zu einer „Hure“ des Kunstmarktes. Zu Recht spricht der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch „Siegerkunst. Neuer Adel. Teure Lust“ (2016) von der gelddiktierten, erfolgreichen „Siegerkunst“. Gleichzeitig hat jedoch das 20. Jahrhundert die Möglichkeiten und Mittel der Kunst erheblich erweitert, und das in positivem Sinne. Zu nennen sind hier etwa als neu auftauchende Techniken und Kunstformen die Fotografie (zwar in den 1830er-Jahren erfunden, aber erst ab Anfang 20. Jh. als Kunstform anerkannt), die Collage und Assemblage, die Installation, das Happening oder der Kunst- und Videofilm. Die Aussage von Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler“ (1985) brachte zusammen mit der Wohlstands- und Freizeitkultur einen Boom von Gelegenheits- und HobbykünstlerInnen hervor, die zusammen mit den Kapriolen der etablierten Kunst und „Siegerkunst“ zu einer Marginalisierung (Produktion von reiner Dekoware) und einem zunehmenden Unverständnis in der breiten Bevölkerung – bis heute – führten. Aus dieser Rand- und Luxusecke der Gesellschaft sollte sich die Kunst befreien. Die Herausforderungen des Anthropozäns sind gewaltig – es geht dabei mehr oder weniger um das Überleben der Natur und des Menschen. Auch der kreative Bereich sollte sich dieser ernsthaften Herausforderung und Bedrohung annehmen. Wie das geschehen sollte und könnte, dazu kann dieses Manifest nur ein Anstoß sein!
Im ersten Kapitel richtet sich zunächst der Blick auf das beginnende Zeitalter des Anthropozäns. Danach erfolgt der Fokus auf die Kunst. Das theoretische Fundament bildet zunächst eine Neuorientierung des Kunstwerk- und Künstlerbegriffs. Im letzten Kapitel wird skizzenhaft versucht auf dieser Grundlage in die Geschichte der Kunst zurück zu blicken, um schließlich zu justieren, was von der Kunst des 20. Jahrhunderts, in dem das Anthropozän begann, von Bedeutung und auch nachhaltig für die KünstlerInnen und die Kunst der Gegenwart und der Zukunft sein kann.
Inhaltsverzeichnis des Manifestes:
Einleitung: Ein neues Jahrtausend – ein neues Zeitalter
I.Das Anthropozän
II. Die mögliche Rolle der Kunst im Anthropozän
2.1. Was soll ein Kunstwerk sein?
2.2. Jeder ist ein Künstler oder eine Künstlerin?
III. Eine Revision: die Kunst seit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts und ihre Entwicklung und Verwirrungen im 20. Jahrhundert
3.1. Die Irrfahrten des Wassily Kandinsky, anderer und die Folgen
3.2. Lichtblicke: Mal mehr, mal weniger – von George Grosz bis Ai Weiwei
Zusammenfassung
Nachwort